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Ohne Schlips und Tadel

von

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Bildbearbeitung

„Søndergaard?“

 

Thilo hätte beinahe das Telefon fallen lassen. Ungläubig starrte er auf das Display. Warum zum Geier hatte er Tabeas Festnetznummer gewählt? Und warum war Liv rangegangen? Er atmete tief durch und führte den Hörer zurück ans Ohr.
 

„Äh, ja. Hi Liv, ich bin’s.“

 

Thilo spürte förmlich, wie sich die Raumtemperatur um mindestens drei Grad senkte. Er und Liv waren ohnehin nicht die besten Freunde, aber nach der Aktion von Donnerstag, war er vermutlich endgültig unten durch. Dabei hatte er doch gar nichts falsch gemacht.

 

„Ist Tabby da?“
 

Wenn er Glück hatte, würden seine Finger vielleicht nicht abfrieren, weil die nordische Göttin ihm mit ihrem Eisatem traf. Leider schienen die Würfel nicht zu seinen Gunsten zu fallen.
 

„Nein, sie ist einkaufen. Soll ich ihr was ausrichten?“

 

Thilo schluckte. Oh ja, das würde es besser machen. Wenn er Liv ausrichten ließ, dass er plante, ihr Versöhnungsessen heute Abend ausfallen zu lassen. Die Wahl zwischen Pest und Cholera. Yeah!
 

„Nein, ich wollte nur …“

 

„Für heute Abend absagen.“ Liv seufzte. „Weißt du, manchmal bist du echt ein Arsch.“

 

Thilo presste die Kiefer zusammen. Erstens weil er nicht damit gerechnet hatte, so schnell durchschaut zu werden. Und zweitens wegen der Beleidigung.

 

„Es ist nicht meine Schuld …“ begann er, wurde aber sofort von Liv unterbrochen.
 

„Ja, genau. Es ist ja nie irgendwas deine Schuld. Du bist sozusagen schuldimprägniert. Wie Autopolitur.“

 

Thilo hätte gerne erwidert, dass das überhaupt nicht stimmte. Leider wäre das wohl ungefähr so effektiv gewesen, wie Feuer mit Benzin zu löschen. Er konnte es trotzdem nicht lassen.
 

„Hey, immerhin hat Tabby die Fotos an die falsche Adresse geschickt. Nicht ich.“

 

Liv grollte.

 

„Ja, hat sie. Aber kann man es ihr verdenken? Du bist doch quasi mit deiner Arbeit verheiratet. Und hast du überhaupt eine Ahnung, wie sehr sie mich vorher gelöchert hat, damit ich die Fotos durchgehe und die besten raussuche? Das war verdammt viel Arbeit.“

 

Thilo lag auf der Zunge zu sagen, dass Liv dann nicht so viele Bilder hätte machen sollen, aber er verkniff es sich. Nützte ja nichts, wenn er jetzt auch noch Dynamit hinterherschmiss.

 

„Sie hätte mir ja einfach alle schicken können“, nörgelte er deswegen auch nur ziemlich leise und ließ sich aufs Sofa fallen. Die Makrameekissen protestierten nicht.

 

Liv schnaubte am anderen Ende.

 

„Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie das auch gemacht, aber ich wollte lieber auf Nummer sicher gehen. Das Fotografieren fremder Personen im öffentlichen Raum ist zwar nicht verboten, aber wenn du die Bilder irgendwo online stellst und dann rauskommt, dass die von mir sind …“

 

Liv sprach nicht weiter, aber Thilo verstand. Es war ja nicht so, dass er den Struggle um die Eröffnung ihres Fotostudios nicht mitbekommen hätte. Die Geschichte war einer der Gründe, warum sie sich nicht verstanden. Thilo hatte Liv damals vorgeworfen, nur hinter Tabbys Geld her zu sein, als diese ihrer neuen Freundin nach nur zwei Monaten Beziehung eine größere Summe hatte „leihen“ wollen. Eine Meinung, die er inzwischen revidiert hatte, aber … Thilo knurrte.
 

„Als wenn ich das machen würde. Oder meinst du vielleicht, ich will, dass mich irgendwer so sieht.“

 

Irgendwer außer den gefühlten drei Dutzend Menschen, die ihn live und in Farbe hatten bewundern dürfen.
 

„Dich vielleicht nicht, aber was ist mit deiner kleinen Befreierin? Deren Mutter wäre sicherlich nicht begeistert, Bilder ihres Kindes auf irgendwelchen ominösen Webseiten zu finden. Oder nehmen wir den niedlichen Lockenkopf. Wer weiß, was er dazu sagt, wenn man ihn auf einmal mit dir zusammen auf einem Foto zu sehen bekommt.“

 

Thilo stockte der Atem. Hatte Liv etwa gerade gesagt …?
 

„Du meinst, du hast Bilder von ihm?“
 

Seine Stimme war ein heiseres Krächzen. Irgendwo zwischendrin hatte er vergessen zu atmen. Livs Ton wurde misstrauisch.

 

„Ja, warum?“

„Könntest du sie mir schicken?“
 

Erst, als er die Frage ausgesprochen hatte, wurde ihm klar, dass er sich gerade voll in die Nesseln gesetzt hatte. Thilo schluckte und Livs Stimme wurde noch eine Spur schärfer.
 

„Wieso? Was hast du damit vor?“

„Nichts!“

 

Dass die Antwort wie aus der Pistole geschossen kam, war vermutlich nicht hilfreich.

 

„Also nichts Schlimmes. Ich will nur …“

 

Thilo seufzte.

 

„Ich kenne ihn, okay? Also zu dem Zeitpunkt noch nicht, aber … er hat die Woche drauf bei uns als Praktikant angefangen. Und heute Abend hat er mich eingeladen. Zum Geburtstag seiner Mutter und da dachte ich … es wäre doch toll, wenn ich ihr ein Bild von ihm schenken würde. Mit Rahmen und alles. Auf so was stehen Mütter doch, oder nicht?“

 

Mit leichten Schweißperlen auf der Stirn erwartete Thilo Livs Antwort. Die natürlich genau so ausfiel, wie er es sich gedacht hatte.
 

„Ein Praktikant?“, fragte sie ungläubig. „Und er hat dich zum Geburtstag seiner Mutter eingeladen? Sag mal, für wie dumm hältst du mich eigentlich?“

 

Thilo zog es vor, darauf nicht zu antworten.

 

„Es stimmt“, beteuerte er stattdessen. „Wenn das nicht die Wahrheit wäre, meinst du nicht, dass ich mir da eine bessere Geschichte einfallen lassen würde?“

 

Die Logik war unbestechlich. Ebenso wie Liv. Thilos Fingernägel bohrten sich in seine Handflächen, während er betete, dass irgendwo da oben jemand ein Einsehen mit ihm hatte.

 

„Und wenn sie fragt, woher die Bilder sind?“
 

Thilo riss die Augenbrauen nach oben.
 

„Dann sag ich ihr, dass sie von einer professionellen Fotografin sind. Ich geb ihr auch deine Adresse, wenn du willst. Und wer weiß, vielleicht ist das sogar kostenlose Publicity. Die Leute werden bei dir anrufen und auch so tolle Bilder haben wollen. Ganz bestimmt.“

 

Liv schnaubte ein drittes Mal. Thilo konnte hören, wie sie auf ihrer Maus herumklickte. Er hielt den Atem an.

 

„Ich hab da eins“, verkündete sie kurz darauf. „Er ist gut getroffen und du bist nicht mal drauf zu sehen. Zumindest nicht, wenn ich deinen Hinterkopf wegschneide. Das sollte nicht lange dauern.“

 

Erneutes Klicken, dann ein zufriedenes Brummen.
 

„Mhm, gar nicht schlecht. Warte, ich versuch das mal in schwarz-weiß.“

 

Wieder Klickgeräusche.
 

„Okay, das ist toll. Definitiv zum auf dem Nachttisch stellen.“

 

Es folgte ein kurzes Schweigen.
 

„Und du machst auch wirklich keinen Mist damit?“
 

„Nein, natürlich nicht“, versicherte Thilo schnell. „Ich will einfach nur nicht mit leeren Händen kommen und wo wir uns doch schon auf so ungewöhnliche Weise kennengelernt haben, sollte er doch vielleicht auch eine Erinnerung daran haben.“

 

Es dauerte nur zwei Sekunden, bevor Liv schaltete.
 

„Läuft da etwa was zwischen euch?“

 

Ups, voll reingetreten. Thilo widerstand dem Drang, seinen Fuß irgendwo abzuwischen.
 

„Nein“, behauptete er rasch. „Natürlich nicht. Ich meine, er ist mein Angestellter. Das geht doch nicht.“
 

Wieder konnte er hören, dass Liv ihm kein Wort glaubte. So vorwurfsvoll schweigen konnte wirklich nicht jeder. Dann jedoch seufzte sie.
 

„Na schön, ich schick dir die Aufnahme. Aber wenn ich das irgendwo im Netz finde, komme ich persönlich vorbei und kastriere dich mit einem rostigen Küchenmesser. Verstanden?“

 

Thilo richtete sich auf.
 

„Nein. Ja. Also würde ich nie machen. Wirklich nicht.“

 

Während er das sagte, kreuzte er die Finger. Schließlich würde Liv nie erfahren, was er wirklich mit dem Bild vorhatte.

 

Sie grunzte.
 

„Na schön, ich schick’s dir.“

 

Ein Klappern, ein Klicken.
 

„Ist unterwegs.“
 

Thilo sprang auf. Mit zwei Schritten war er bei seinem Laptop, klappte den Deckel auf und hämmerte auf den Tasten herum, bis es surrend zum Leben erwachte. Mit zittrigen Fingern schob er den Mauszeiger auf das Symbol des Maildienstes und öffnete ihn. Eine Flut von Nachrichten ergoss sich auf seinen Bildschirm. Jede Menge Werbung, Spam, Anfragen seiner Dating-App und ganz oben mit einer verheißungsvollen Büroklammer im Anhang: Livs Mail. So schnell er konnte, öffnete er sie. Im nächsten Moment stockte ihm der Atem.
 

„Wow.“

 

Anders konnte man das Bild wirklich nicht beschreiben. Es musste aus derselben Reihe stammen wie das, was Thilo sowieso schon die ganze Zeit angehimmelt hatte, nur dieses Mal war Karims volles Gesicht zu sehen. Er lächelte und seine Aufmerksamkeit war auf etwas oder jemanden gerichtet, der ein Stück neben der Kamera stand. Es gab der Aufnahme ein leichtes Profil und brachte seine perfekten Proportionen gekonnt zur Geltung. Gleichzeitig wirkte das Bild unheimlich lebendig. Thilo konnte praktisch sehen, wie sich sein Lächeln verbreiterte, wie er den Blick senkte, den Kopf schief legte und dann wieder zu ihm aufsah. Allein die Tatsache, dass er es gewesen war, der diesen Blick abbekommen hatte, brachte die Haare auf seinen Armen dazu, sich aufzurichten. Das war wirklich der absolute Wahnsinn.

 

„Unglaublich. Du bist eine Künstlerin.“

 

Thilo fühlte sich verpflichtet, das zu sagen. Er wusste noch, wie er Liv mal an den Kopf geworfen hatte, doch nicht mehr zu tun, als ihre Kamera in die richtige Richtung zu halten und den Auslöser zu drücken. Daraufhin hatte er sich einen fast zwanzigminütigen Vortrag darüber anhören müssen, dass zum Erkennen des richtigen Motivs und des Einfangens des perfekten Augenblicks weit mehr gehörte als nur draufzuhalten und das Beste zu hoffen. Bisher hatte er das eigentlich immer nur für Gewäsch gehalten, aber jetzt, wo er Karims Bild vor sich sah, wusste er, was sie gemeint hatte.
 

„Danke“, kam es trocken zurück. „Ich hoffe, seiner Mutter gefällt das Bild. Du wirst es doch ausdrucken, oder?“

 

Klar. Natürlich würde er das. Allerdings hatte er nicht im Geringsten vor, es weiterzuverschenken. Vielleicht in Postergröße über sein Bett hängen, ja, aber sonst …

 

„Du kannst dich auf mich verlassen.“

 

Immerhin insoweit, dass er das Bild niemandem zeigen würde. Nicht einmal Karim, denn wenn der wüsste, dass Thilo ein Foto von ihm hatte …

 

Liv schnaubte.
 

„Na gut, dann mach. Und melde dich bei Tabea, damit sie weiß, dass du sie mal wieder hängen lässt.“

 

Thilo verzog das Gesicht.
 

„Kannst du das nicht vielleicht machen?“

 

Wieder ein Schnauben.

 

„Wenn du es ihr beibringst, ist sie bestimmt nicht ganz so geknickt“, fuhr er fort. „Und ich verspreche, dass wir es nachholen. Ich bin auch nicht mehr sauer wegen der Mail. Ehrenwort.“

 

Liv schnaubte noch einmal. Es erinnerte Thilo an ein gestresstes Pferd.
 

„Na schön“, meinte sie schließlich. „Aber damit das klar ist: Ich mache das nur für Tabby. Weil sie es nämlich absolut nicht verdient hat, so einen ignoranten Trottel wie dich zum Bruder zu haben.“
 

Thilo zuckte ein bisschen bei der Spitze, aber ein Blick auf Karim, ließ ihn die Stacheln wieder anlegen. Irgendwo hatte Liv ja recht.

 

„Ja, ich weiß“, sagte er stattdessen. „Ich versuch, mich zu bessern, okay? Sag Tabby, dass ich sie lieb hab.“
 

Das war jetzt ein großes Zugeständnis und genau das, was Liv hören wollte.
 

„Sag es ihr selbst“, murrte sie in den Hörer und legte auf. Thilo hörte das Klicken und brauchte einen Augenblick um zu realisieren, dass Liv ihn quasi hatte stehen lassen. Am Telefon. Was für ne Bitch.

 

Aber fotografieren kann sie, dachte er bei sich und war für einen Moment versucht, zärtlich über den Bildschirm zu streichen, bevor er sich zusammenriss. Er hatte da immer noch eine Einladung zu bewältigen und nicht den leisesten Schimmer, was er anziehen würde.

 

 

Thilo war kaum im Schlafzimmer angekommen, als es schon wieder klingelte. Dieses Mal sein Handy. Er ging ran, ohne hinzusehen.
 

„Ja?“, fragte er und schob die Tür des Kleiderschranks beiseite. Jede Menge Hemden enthüllten sich ihm. Mit Blicken ging er die Reihe durch. An seinem Ohr ein warmes Lachen.
 

„Oh, na da ist aber jemand mit dem falschen Fuß aufgestanden. Was ist los? Hat der Kleine dich doch nicht rangelassen.“

 

Thilo schloss für einen Moment die Augen. War ja klar, dass jetzt auch noch Tom anrufen musste.
 

„Ich hab es gar nicht versucht“, gab er zur Auskunft und griff nach dem dunklen Hemd, das er letztens schon für die Profilfotos angehabt hatte. Das saß gut, war lässig genug für eine private Feier, aber nicht so schäbig, dass das einzig passende Accessoire ein Sixpack gewesen wäre. Eines mit Flaschen drin. Mit einer ausladenden Geste beförderte er das Kleidungsstück aufs Bett und öffnete die andere Schrankseite, um eine passende Hose herauszusuchen.
 

„Nicht?“ Tom schien ehrlich erstaunt. „Ich dachte, nachdem du seinetwegen extra Überstunden gemacht hast, hätte sich die Sache wenigstens für dich gelohnt.“

 

Thilo entblößte die Vorderzähne.
 

„Hat es. Es war ein sehr netter Abend. Also eine nette Autofahrt. Vorher hab ich noch beim Aufräumen geholfen.“

 

Toms Antwort bestand aus einem Prusten.
 

„Beim Aufräumen? Oh man. Und demnächst wäscht du dann seine Wäsche und bügelst seine Unterhosen, oder wie?“

 

Die Frage ließ Thilo darüber nachdenken, was für eine Art von Unterwäsche Karim wohl trug. Wenn er hätte raten müssen, hätte er auf Pants getippt. Oder vielleicht Shorts, wie er selbst? Auf keinen Fall aber mit Muster, da war Thilos sich sicher. Es hätte nicht zum Rest gepasst.

 

„Quatsch“, gab er jedoch nur zurück und griff nach einer hellgrauen Chino. Ob die wohl noch passte?

 

„Ich hab dir gesagt, dass da nichts laufen wird. Ich bin sein Boss und damit hat es sich.“

 

Und warum putzt du dich dann gerade so raus?
 

Thilo hätte die kleine Stimme gerne ignoriert, aber da ihn das leise Gefühl beschlich, dass sie nicht ganz unrecht hatte, drehte er sich auf dem Absatz herum und verließ das Schlafzimmer. Er würde einfach irgendwas anziehen. Kein Grund, Eindruck zu schinden Es war nur … kein Date!

 

Zurück im Wohnzimmer fiel sein Blick sofort auf Karims Foto. Nein, eigentlich fiel er nicht. Er wurde geradezu magisch angezogen. Schnell ging Thilo zum Schreibtisch und schloss die Ansicht. Während er wild klickte, öffnete er aus Versehen eine andere Mail. Sie war von Rudolph457. Der Typ hatte Thilos „danke, aber nein danke“ offenbar nicht verstanden. Er fragte, ob sie nicht doch mal Kaffee trinken gehen wollten. So ganz unverbindlich.

 

Tom schnaubte auf der anderen Seite der Leitung.

 

„Mir scheint, dass dich das nicht unbedingt glücklich macht, oder warum bist du so zickig?“

 

Thilo bleckte erneut die Zähne. Warum interessierte sich Tom heute so für seinen Gemütszustand?
 

„Ich hab gerade mit Liv telefoniert.“
 

Das anschließende „Oh“ von Tom bedeutete wohl, dass er damit immerhin schon mal seine Laune erklärt hatte. Leider reichte Tom das nicht.
 

„Und was wollte sie?“

 

Thilo fühlte Kopfschmerzen in sich aufsteigen. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Er begann, seine Nasenwurzel zu massieren.
 

„Nichts. Ich hab sie angerufen. Also eigentlich Tabby, aber …“

„Warum denn das? Wart ihr nicht eh verabredet?“

 

Mist, jetzt hatte er sich verraten. Dabei hatte er Karims Einladung doch vor Tom geheim halten wollen. Warum, wusste er selbst nicht genau. Vielleicht, um genau solche Kommentare zu verhindern.

 

„Ja, aber ich hab abgesagt. Hab was Besseres vor.“

„Und was?“

 

Klar, dass Tom das jetzt wissen wollte. Immerhin hatte Thilo ihm wegen Tabea abgesagt.
 

„Ich hab …“

 

Thilos Blick fiel auf den Bildschirm. Da stand immer noch Rudis Anfrage. Was, wenn er ihn vorschob? Tom würde es kaum kontrollieren, wenn er ihm sagte, dass er eine Verabredung hatte und …

 

„Ich bin eingeladen worden. Von Karim.“

 

In Thilos Ohr pfiff es anerkennend.
 

„Sieh an, also doch ein Date. Und heute Abend wollt ihr’s dann krachen lassen, ja?“
 

Thilo presste die Lippen aufeinander. So gerne er ja behauptet hätte, dass er nie daran gedacht hatte, mit Karim zu schlafen, wäre das wohl eine zu dreiste Lüge gewesen. Einzig die Vernunft war es, die ihn zurückhielt. Wo die allerdings abgeblieben war, als er der Einladung zugestimmt hatte …

 

„Kein Date“, stellte er richtig. „Ich bin … er hat mich zu einer Familienfeier eingeladen. Seine Mutter hat Geburtstag.“

 

Am anderen Ende herrschte jetzt Schweigen. Wenn Thilo nicht gesehen hätte, wie sich der Sekundenzähler auf dem Display veränderte, hätte er angenommen, dass Tom aufgelegt hatte. Aber das hatte er nicht. Er war noch dran.

 

„Wow“, kam es irgendwann dann doch aus dem Lautsprecher. „Und ich dachte, das wird nur so ne Bettgeschichte. Dich hat es ja wirklich erwischt.“

 

Thilo antwortete nicht. Stattdessen schloss er die Mail des Datingportals und öffnete wieder die von Liv. Karims Gesicht erschien auf dem Bildschirm. Er seufzte lautlos.
 

„Ja“, gab er leise zu. Denn das es so war, ließ sich jetzt wohl irgendwie nicht mehr leugnen. Andererseits ging es halt nicht. Er konnte nichts mit Karim anfangen. Es war unmöglich.
 

„Und weiß er das?“
 

Die Frage, so fies sie war, musste wohl gestellt werden. Thilo zuckte automatisch mit den Schultern.
 

„Keine Ahnung. Er ist auf jeden Fall nicht uninteressiert. Obwohl ich ihm gesagt habe, dass da nichts laufen wird.“

„Weil du ein Idiot bist.“
 

Toms Kommentar kam so knochentrocken, das Thilo sich beinahe daran verschluckt hätte. Er fuhr auf.
 

„Hey! Jetzt mal langsam, okay? Ich hab dir gesagt, warum das mit uns nichts wird.“

„Und was ist, wenn er sein Praktikum beendet hat?“
 

Die Frage, erwischte Thilo eiskalt. Ein Schauer rann seinen Rücken hinab und gleich darauf wieder hoch. Er spürte seine Ohren warm werden.
 

„Wie meinst du das?“
 

Tom lachte.
 

„Na genau das, was ich gesagt habe. So ein Praktikum dauert doch nicht ewig. Wie lange ist er denn bei euch? Ein paar Monate? Dann lasst ihr die Sache halt so lange unter dem Radar laufen und danach hast du doch alle Möglichkeiten. Ist ja nicht so, dass ihr es jedem gleich auf die Nase binden müsst. Solange ihr es nicht auf deinem Schreibtisch treibt, wird schon keiner was mitkriegen.“

 

Thilo überlegte. Da war natürlich etwas Wahres dran. Gleichzeitig wusste er, dass das auf gar keinen Fall infrage kam. Karim verdiente es, mehr zu sein als nur eine heimliche Affäre hinter verschlossenen Türen. Jemand wie er brauchte echtes Commitment. Keinen Duckmäuser wie Thilo.
 

„Das kann ich ihm nicht antun.“

 

Kaum hatte er das gesagt, hätte Thilo sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Denn im Grunde war es genau das, was er damals von Tom verlangt hatte. Dass niemand was mitbekam. Und auch wenn Tom selbst kein großes Verlangen danach gehabt hatte, öffentlich als Paar aufzutreten, war das trotzdem …
 

„Ach Thilo.“

 

Die Wärme und gleichzeitige Resignation in Toms Stimme ließ gleich noch einen weiteren Schauer über Thilos Rücken rieseln. Er war wirklich zu angespannt.

 

„Wenn er der Richtige ist, wird er das verstehen.“
 

Thilo hätte nie geglaubt, diese Worte ausgerechnet aus Toms Mund zu hören. Tom, der jedem, der es hören wollte, erklärte, dass Beziehungen nur Zeitverschwendung waren. Tom, der ewige Single. Jungesselle auf Lebenszeit. Weil er sich an niemanden binden wollte. Sich nicht einschränken. Sein Ding machen. Kein Rückblick, keine Reue. Und ausgerechnet er gab Thilo jetzt Beziehungstipps? Da musste was faul sein.
 

„Das glaubst du nicht wirklich, oder?“, wollte er wissen. Er hörte Tom grinsen.
 

„Nein, aber du glaubst das. Sonst würdest du da heute Abend bestimmt nicht hingehen.“

 

Thilo biss sich auf die Lippen. Hatte Tom recht? Hatte er sich selbst so weit manipuliert, dass er insgeheim gegen seine eigenen Prinzipien verstieß?

 

„Was soll ich tun?“

 

Was würde Tom sagen? Würde er ihm raten, sich Karim aus dem Kopf zu schlagen und stattdessen mit auszugehen? Oder würde er …

 

„Geh hin. Finde raus, was das mit euch ist. Und dann hör auf, so viel darüber nachzudenken, Mach einfach.“

 

Mach einfach. Das war schon damals Toms Motto gewesen. Thilo hatte es von Anfang an fasziniert, wie sicher Tom sich bei allem war. Wie selbstbewusst. Als könnte ihm niemand das Wasser reichen. Als würde die Welt ihm gehören.

 

Thilo seufzte.
 

„Na schön, ich geh hin.“

 

Tom lachte am anderen Ende.
 

„Braver Junge. Und jetzt sag mir, was du anziehen wirst.“

 



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